Landshut. Für Ruth Schindler war die Diagnose „MS“ ein Schock. Sie hatte sofort das Wort „Rollstuhl“ im Kopf und wusste, dass diese Krankheit sie nun ein Leben lang begleiten wird. Weil die psychische Belastung enorm war, suchte sie sich Unterstützung durch einen Therapeuten, der ihr half, sich zu stabilisieren. Multiple Sklerose ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems, von der deutschlandweit rund 200 000 Menschen betroffen sind. Aufgrund des unvorhersehbaren Verlaufs und der zahlreichen möglichen Symptome – man spricht auch von der Krankheit mit den 1000 Gesichtern – kann sie neben erheblichen körperlichen auch familiäre, soziale und seelische Belastungen für die Patienten mit sich bringen. MS ist prinzipiell nicht heilbar. Es gibt aber wirksame Therapien, um den Krankheitsverlauf zu verlangsamen oder sogar weitgehend zu stoppen. Doch nach wie vor scheuen sich viele Betroffene, öffentlich zu ihrer Erkrankung zu stehen.
Im Bild von links: Ruth und Klaus Schindler, MS-Selbsthilfegruppe Landshut, Hans-Jürgen Alfort, DMSG Bayern, Dr. Nicolaus König, stv. Vorsitzender des DMSG Bayern, Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich sowie Hans-Peter Wabro, Geschäftsführer DMSG Bayern
Mit einem „Niederbayerntag“ der MS-Selbsthilfegruppen am Samstag, 23. Juni, in Landshut will die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) das Krankheitsbild, Behandlungsmöglichkeiten sowie Hilfsangebote in den Fokus rücken und Patienten Mut machen. Die Schirmherrschaft hat der niederbayerische Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich übernommen. Er wird bei der Veranstaltung in der Sparkassenakademie auch ein Grußwort sprechen. Bei einem Pressegespräch in der Hauptverwaltung des Bezirks
erzählte Ruth Schindler, die mit ihrem Mann Klaus eine Selbsthilfegruppe in Landshut leitet, ihre persönliche Geschichte. Vertreter der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft berichteten von ihren Erfahrungen, aktuellen Erkenntnissen und sagten, welche konkreten Unterstützungsmaßnahmen es gibt. Sie machten deutlich, wie wichtig ein starkes Netzwerk ist, das den Betroffenen Rückhalt gibt. Dazu gehören neben Familien und Freunden auch Selbsthilfe- und Kontaktgruppen. Allein in Bayern gibt es gut 200 MS-Selbsthilfegruppen. Solche Netzwerke sind umso wichtiger, als nach der Erfahrung vieler Betroffener durch die Belastungssituation so manche Beziehung in die Brüche geht.
Dr. Heinrich stellte das von der DMSG zertifizierte MS-Zentrum des Bezirks Niederbayern am Bezirksklinikum Mainkofen vor. Dort wurden 2017 158 Patienten stationär behandelt. Ambulant kamen 471 Betroffene zur Therapie oder Diagnostik in die Sprechstunde. Die Neurologische Klinik gilt mit ihrem breiten Behandlungsspektrum von speziellen Medikamentengaben über Ergotherapie bis hin zu stationären „Blutwäschen“ (Immunadsorption) als führendes Zentrum für die Behandlung von MS-Patienten in Niederbayern. Der Bezirkstagspräsident betonte, dass es ihm insgesamt ein Anliegen sei, über die Krankheit aufzuklären und Selbsthilfegruppen miteinander zu vernetzen. Der geplante Niederbayerntag sei ein wichtiges Signal. Der Bezirk macht nach Angaben von Initiator Hans-Jürgen Alfort, Mitglied des erweiterten Vorstands der DMSG Bayern, damit den Anfang. Wünschenswert sei, dass solche Veranstaltungen auch in den anderen Bezirken stattfinden.
MS ist meist gekennzeichnet durch schubförmige neurologische Symptome mit Ausfällen, die Tage bis Wochen anhalten. Dies sind beispielsweise eine einseitige Schwäche von Arm oder Bein, Doppeltsehen oder eine deutliche Gangunsicherheit. Inzwischen sind eine entsprechende Diagnose und die darauffolgende Therapie - nicht zuletzt auch durch neue bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomographie (MRT) – früher und zuverlässiger möglich, betonte Dr. Nicolaus König, ehemaliger Ärztlicher Leiter der auf Multiple Sklerose spezialisierten Marianne-Strauß-Klinik in Berg/Kempfenhausen und stellvertretender Vorsitzender des DMSG Landesverbandes Bayern e. V.
Die Krankheit bricht im statistischen Schnitt mit 31 Jahren aus. Etwa Dreiviertel der Betroffenen sind Frauen. Ruth Schindler war 29, als sie plötzlich Symptome bekam, die ihr unheimlich waren. Sie verlor den Farbsinn und das Sehvermögen – andere Ausfallerscheinungen kamen hinzu und es dauerte geraume Zeit, bis klar wurde, was ihr wirklich fehlt. Laut König ist der Krankheitsverlauf nach einer MS-Diagnose nicht vorhersehbar. Oft gibt es viele verschiedene Symptome, die zunächst nicht „zusammenpassen“. Schindler hat über die Jahre und Jahrzehnte gelernt, mit der Krankheit zu leben und hat inzwischen zwei erwachsene Söhne.
Mit anderen MS-Patienten zu sprechen, gemeinsam etwas zu unternehmen, war für sie stets eine große Hilfe, weil die Mit-Betroffenen genau wissen, was sie fühlt und sie es nicht erst erklären muss. Zumal MS-Patienten das Problem haben, dass die meisten ihrer Symptome von außen nicht zu erkennen sind. Daher engagiert sich Ruth Schindler auch aktiv in einer Selbsthilfegruppe.
Die DMSG berät Betroffene nicht nur in allen lebenspraktischen Fragen, sondern bietet neben individuellen Gesprächen im Landesverband Bayern auch Gesprächskreise und Wochenendseminare an. Beim Niederbayern-Tag in Landshut präsentieren sich ab 11 Uhr drei von 19 niederbayerischen Selbsthilfegruppen. Jeder Interessierte kann kommen. Neben Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich als Schirmherr der Veranstaltung sprechen Herzogin Elizabeth in Bayern als Schirmherrin der DMSG in Bayern, Regierungsvizepräsident Dr. Helmut Graf, Landrat Peter Dreier, Erwin Schneck, 3. Bürgermeister der Stadt Landshut und Dr. Nicolaus König für die DMSG. Dazu gibt es einen Fachvortrag über die „Unsichtbaren Symptome der MS“. Der Tag steht unter dem Motto: „Alles geht, aber eben nur anders.“