Mit Arbeit auf dem Bauernhof ins Leben zurückfinden

Das Konzept des soziotherapeutischen Bauernhofs in Dingolfing ist einmalig in Bayern

 

Foto: Bezirk Niederbayern, Manuela Lang

Dingolfing. Hündin Frieda liegt im Schatten des großen Kirschbaumes und beobachtet das Geschehen eher gelangweilt, dabei ist ihr Liegeplatz etwas ganz Besonderes in Bayern. Auf dem soziotherapeutischen Bauernhof bei Dingolfing, den der Betreuungsverein 1:1 betreibt, werden Entlassene der Forensik in Straubing sowie Suchtkranke mit dem Ziel betreut, sie wieder erfolgreich in die Gesellschaft einzugliedern. Die Kombination der Zielgruppe sowie der Ort machen dabei das Alleinstellungsmerkmal aus. Nicht nur deshalb stattete Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich der Einrichtung vergangene Woche einen Besuch ab – auch, weil der erst acht Jahre alte, gemeinnützige, nicht gewinnorientierte Verein in kurzer Zeit zu einem 50-Mitarbeiter-Betrieb angewachsen ist und auch in der Bezirksverwaltung hohes Ansehen genießt.

120 Teilnehmer zählt man derzeit bei den diversen Angeboten, die vom Betreuten Einzelwohnen, therapeutischen Wohngemeinschaften, über sozialpädagogische Familienhilfe, Therapieeinrichtungen für suchtkranke Jugendliche bis hin zu Präventionskursen im eigenen Haus, aber auch außerhalb, etwa in Schulen, reichen. „Der Bedarf ist enorm, gerade im Suchtbereich“, unterstrich Vereinsvorsitzender Werner Haas, der zugleich auf die neuen Angebote hinwies, etwa den Drogenkontaktladen „Freiraum“, der ab Herbst in Dingolfing eröffnet.

Der soziotherapeutische Bauernhof wurde 2015 eröffnet und ist mit seinen fünf Plätzen ständig ausgebucht. Der Vorteil dieser Einrichtung sei neben der körperlichen, bäuerlichen Tätigkeit und der Gruppenatmosphäre vor allem die Abgeschiedenheit, die für eine „spezielle Zielgruppe“ gut geeignet ist. „Natürlich gab es anfangs gewisse Vorbehalte der Nachbarn, aber wir sind damit immer offen umgegangen, haben umfassend informiert, gemeinsame Feste veranstaltet, damit alle wissen, wer hier lebt“, beschreibt Hofleiterin Claudia Forster, die zugleich im Verein die Bereichsleitung Sucht innehat. Sie wird von Stefanie Wagner therapeutisch unterstützt und von Landwirt Wolfgang Schuh in allen anderen Arbeiten, die auf dem Hof anfallen. Seine Hündin Frieda nimmt er täglich mit, schließlich ist sie hier in bester Gesellschaft bei Esel Max, den Schafen Tristan und Isolde sowie einigen Hühnern und Bienen, die sich auf dem drei Hektar großen, von der Stadt angepachteten Grundstück tummeln.

„Ein dreifaches Netz spannen“ sei wichtig bei der schwierigen Klientel und daran ist allen Beteiligten gelegen, erklärte Geschäftsführer Albert Engel. Dem Verein kommt dabei entgegen, dass man im Vergleich zu großen Trägern sehr schnell aktiv werden kann. „Wir sind mittlerweile gut vernetzt und können deshalb situationsorientiert handeln.“ So geschah das auch, als der Bezirk dem Verein das Bauernhof-Projekt vorschlug. „Wir haben uns zusammengesetzt, ein Konzept erarbeitet und losgelegt“, erinnert sich Claudia Forster, die damit auch selbst Neuland betrat, denn außer fließend Wasser und Strom war auf dem Hof nicht mehr viel von einer ehemaligen Landwirtschaft zu sehen. Heute wachsen rund um das Haus sämtliche Gemüsesorten, die Sträucher hängen voller Beeren und eben haben zwei Bewohner angefangen, die Erde auf dem Acker zu lockern. „Nicht jeder ist für die gleiche Arbeit geeignet, aber bisher haben wir noch für jeden was gefunden“, sagt Landwirt Schuh. Das kulinarische Ergebnis kann sich sehen lassen. Ob Gemüse, Früchte, Marmelade oder Chutney – die eigenen Produkte werden entweder selbst genossen, bei vereinseigenen Kochkursen verwendet oder verschenkt.

Und das therapeutische Ergebnis? „Einige werden ein Leben lang auf Hilfestellung angewiesen sein, aber viele finden so auch wieder ihre innere Ruhe und bauen Ängste ab, so dass sie danach eigenständig leben können“, erklärt die Hofleiterin. Doch ist das Ziel, eine eigene Wohnung zu beziehen erreicht, wird ein anderes Problem deutlich: Die Wohnungsnot bekommt auch der Betreuungsverein 1:1 zu spüren, zumal viele Vermieter Vorbehalte haben. „Wir haben nun angefangen, dass wir als Verein zum Mieter werden, damit eine gewisse Sicherheit gegeben ist“, erklärt der Geschäftsführer. Auf ein anderes Problem weist Ingrid Thiede, Bereichsleiterin Forensik beim Betreuungsverein hin: „Gerade in unserem Fachgebiet brauchen wir unbedingt gut ausgebildetes Personal, die pauschalen Zuschüsse für Schulungen reichen dabei bei weitem nicht aus.“ Auch was Präventivkurse in Schulen anbelangt, tut sich eine Finanzierungslücke auf. „Diese Kurse werden immer häufiger angefragt, aber wir können das bisher nicht genügend abrechnen“, erklärt Vorsitzender Haas.

Dass der Verein unentgeltlich die Betreuung der künftigen Bewohner im Hof ab dem Zeitpunkt ihrer Entlassung übernimmt, obwohl die Betreuung erst später beim Einzug abgerechnet werden kann, lobte Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich. Er bedankte sich für die umfassenden Einblicke in den Verein selbst und speziell in den soziotherapeutischen Bauernhof, den er als „sehr gelungene Maßnahme zur Reintegration“ bezeichnete. Vor allem, da es offenbar gelungen sei, die Vorbehalte und Ängste vor dieser Einrichtung in der Nachbarschaft abzubauen, indem der Verein so offen und fachlich hochkompetent informiere.

Und in der Tat: Nach drei Jahren Betriebszeit sind die „einzigen ernstzunehmenden Gegner“ des Bauernhofs nur mehr die Wühlmäuse im Garten, sagen die Hofbetreuer, denen die Arbeit hier sicher nicht so schnell ausgehen wird.

Bildunterschrift: Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich (v. l.) wurde von Hofleiterin Claudia Forster, Landwirt Wolfgang Schuh, Vereinsvorsitzendem Werner Haas sowie Geschäftsführer Albert Engel über das Gelände geführt.