Es geht um viel mehr als nur die Mehrwertsteuer

Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich diskutiert neue Ansätze mit der Dehoga-Bezirkschefin Rose Marie Wenzel

Mainkofen. Vereinsheime, Bürgerhäuser und die zunehmende Zahl an Firmenkantinen setzen der Gastronomie in Niederbayern zu. Mit dem Rückgang geht nicht nur ein großes Stück an Lebensqualität in den Ortschaften verloren, die langfristigen Auswirkungen gehen weit darüber hinaus – und viele Folgen sind noch gar nicht abzuschätzen.
Um über dieses Thema zu sprechen und einen neuen Vorschlag zu diskutieren, suchte Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich kürzlich das Gespräch mit Rose Marie Wenzel. Sie betrieb nicht nur viele Jahre das Ruderhaus und das Café Wiedemann in Deggendorf (wo sie zu Spitzenzeiten 75 Mitarbeiter beschäftigte), sondern ist auch seit fast 30 Jahren Bezirksvorsitzende des Dehoga (Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband) in Niederbayern. „Seit ich Bezirksvorsitzende bin, hat die Staatsregierung immer mehr Vereinsheime gefördert – mittlerweile in einem Ausmaß, dass es in manchen Orten mehrere Vereinsheime gibt, aber keinen Wirt mehr“, blickt Wenzel zurück. Die Folgen seien im ländlichen Raum auch in den Nachbarorten spürbar, wo sich Wirtshäuser kaum mehr halten können.

Seit einigen Jahren stellt die Dehoga-Bezirksvorsitzende einen weiteren Trend fest: „Nun werden leerstehende Wirtshäuser mit hohen staatlichen Förderquoten zu Bürgerhäusern umgebaut. Damit die Gemeinde einen passenden Betreiber findet, wird die Pacht niedrig angesetzt, was wiederum den Wettbewerb verzerrt.“ Auch Olaf Heinrich sieht die Förderung von Bürgerhäusern skeptisch. „Das macht dort Sinn, wo sich die Bürger selbst mit Anteilen etwa in Form einer Genossenschaft einbringen und das Haus dann auch wirklich belebt ist.“ Es sei aber nicht in jedem Fall eine wirklich intensive Nutzung zu verzeichnen.
Folgenreich ist aus Sicht von Heinrich auch, dass immer mehr Firmen für ihre Mitarbeiter Kantinen einrichten, was wiederum die Gastronomiebetriebe schwächt. „Es gibt Modelle, bei denen der Arbeitgeber bewusst auf eine Kantine verzichtet und stattdessen seinen Mitarbeitern Essensgutscheine für die lokale Gastronomie anbietet“, erklärte er und bat Rose Marie Wenzel um eine Einschätzung, ob dies aus ihrer Sicht sinnvoll ist. Prinzipiell befürwortet sie solch ein Modell, gibt jedoch zu bedenken, dass mittlerweile die Wege zwischen Firmen und Wirtshäusern länger geworden sind, weil sich vor allem größere Unternehmen außerhalb der Zentren ansiedeln. „Da die Menschen aber gerade in der Mittagspause wenig Zeit haben, würde sicher hier eher eine Belieferung anbieten, als die Einkehr vor Ort.“ Manche Kantinen bieten ihr sehr günstiges Essen aber nicht nur für die eigenen Mitarbeiter an, sondern öffnen sich auch für die Öffentlichkeit. Dies zu ändern, wäre schon mal ein erster Schritt. „Ein Mittagessen für 4,50 Euro ist hoch subventioniert, da kann ein Wirt einfach nicht mithalten. Es muss nicht sein, dass Kantinen öffentlich zugänglich sind.“ Dass dies teilweise in öffentlichen Behörden der Fall sei, habe ebenfalls eine marktverzerrende Wirkung.

Für die Gastronomie geht es um weit mehr als nur um die Senkung der Mehrwertsteuer, da waren sich beide einig. „In den vergangenen Jahren gab es für sehr viele Vorhaben staatliches Geld, nun sehen wir die Leistungsfähigkeit des Staates gefährdet und es ist Zeit, bei den Subventionen den Rotstift anzusetzen“, ist Olaf Heinrich überzeugt. Auch Rose Marie Wenzel plädiert dafür, dass die Politik den Menschen wieder mehr die Möglichkeit geben solle, sich selbst zu entfalten und etwas zu erwirtschaften. „Dann floriert auch die Wirtschaft“, ist sie überzeugt.
Die Zeit drängt jedenfalls, denn die Gastronomie ist ein zentraler Hebel, um den ländlichen Raum attraktiv zu halten. Die Auswirkungen fehlender Einkehrmöglichkeiten in den Ortschaften auf den Tourismus seien noch gar nicht abschätzbar. Genauso sieht Heinrich die Funktion von Wirtshäusern als traditionellem Begegnungsort. „Wo diese immer häufiger fehlen und die Menschen sich in ihren unterschiedlichen Meinungen und Biografien nicht mehr begegnen können, wird auch die Demokratie zunehmend gefährdet.“ Noch dazu kommt, dass die Attraktivität der Innenstädte weiter leiden wird, wenn es dort immer weniger gastronomische Angebote gibt. „Welchen Vorteil hat dann ein Büro in der Innenstadt noch?“, stellte Heinrich in Frage. „Lebendige Ortskerne sind ohne Gastronomie nicht vorstellbar.“
Die Auswirkungen für einzelne Orte und ganze Regionen seien sehr bedenklich, darin waren sich beide einig und Rose Marie Wenzel bedankte sich beim Bezirkstagspräsidenten für den Anstoß, einen Bewusstseinswandel auf verschiedenen Ebenen einzuleiten: „Denn es geht um viel mehr als nur die Mehrwertsteuer – es geht um Lebensqualität und Stadtentwicklung bis hin zum Erhalt unserer Demokratie.“ Der Bezirkstagspräsident ergänzte: „Und es geht auch um die Rückkehr oder die Stärkung des Leistungsprinzips.“

Bildunterschrift: Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich im Gespräch mit der Dehoga-Bezirksvorsitzenden Niederbayern, Rose Marie Wenzel
Foto: Bezirk Niederbayern, Manuela Lang