Bezirkstagspräsident spricht von „kleiner Sensation für die Region“
Finsterau. Einst überzog ein dichtes Netz an Holzdraht-Werkstätten den Bayerischen Wald. Viele Menschen lebten von der Herstellung der bis zu sechs Meter langen Stäbe aus Fichten- oder Tannenholz, exportierten sie teils bis nach Übersee. Doch im Laufe des 20. Jahrhunderts und fortschreitender Industrialisierung geriet das Handwerk fast in Vergessenheit. Heute wissen nur noch wenige um das Geheimnis der händischen Herstellung von Holzdraht. Ein Geheimnis, dem Franziska Oslmeier, wissenschaftliche Volontärin im Freilichtmuseum Finsterau, seit zwei Jahren nachgeht - mit großem Erfolg. Sie stieß auf so viele Objekte und Überlieferungen, dass sich das Freilichtmuseum im Frühjahr 2023 prompt entschloss, die Sonderausstellung „Hölzl Steckerl Staberl“ ins Leben zu rufen. Am Donnerstag eröffnete Bezirkstagspräsident und Vorsitzender des Zweckverbands Niederbayerische Freilichtmuseen, Dr. Olaf Heinrich, die besondere Ausstellung über die traditionsreiche Holzdrahtproduktion im Bayerischen Wald.
Die Highlights der Ausstellung: Ein originaler Webstuhl, den Franziska Oslmeier und ihre Kollegen mithilfe der Handweberei Moser aufstellten, motorisierte Hobelbänke und diverse Zündholzschachteln aus der Zeit vor und um 1900, die das Muzeum Šumavy Sušice als Leihgaben beisteuerte. Ursprünglich entstand die Holzdrahtproduktion als eine Errungenschaft der frühen Zündholzindustrie. Sie verbreite sich von Wien bis in den Bayerischen Wald, wo das Handwerk noch lange die Wirtschaft prägte und viele Männer und Frauen in die sogenannte „Stess“ zog – so hießen die Rundstabwerkstätten in den hohen Lagen des Mittelgebirges beiderseits der Grenze zwischen Bayern und Tschechien. Gerade in den arbeitsärmeren Wintermonaten besserten viele Landwirte ihr karges Einkommen mit der Herstellung von Holzdraht auf.
In den vergangenen Jahren gelang es dem Freilichtmuseum Finsterau, seine Sammlung um diese Facette der Holznutzung im Bayerischen Wald zu erweitern. Neue Bildquellen und interessante Objekte zeigen die notwendige Kraft und das handwerkliche Geschick, das das Holzdrahthobeln verlangt - und zeichnen das Bild eines eigentümlichen Kapitels der Wirtschaftsgeschichte der Region.
Franziska Oslmeier, die bei der Ausstellung zudem als Kuratorin fungiert, sagte bei ihrer Eröffnungsrede: „Die kleinen Dinge des Alltags in ein größeres Geschehen einordnen – so würde ich das Ausstellen im Museum im Kern beschreiben. Die kleinen Dinge lassen aber nicht immer erkennen, dass hinter ihnen Großes steckt. Das war auch hier der Fall, denn aus einem einzigen Hobel ist innerhalb von knapp zwei Jahren diese Ausstellung entstanden.“
Holzdraht reihe sich in ein umfangreiches Repertoire der Holzverarbeitung im Bayerischen Wald ein. Er bot eine breite Palette an Waren – von Zündhölzern bis hin zu Markisen und Rollvorhängen. Oslmeier weiter: „Der Holzdrahthobel revolutionierte in den 1820er Jahren die Arbeit in Zündholzfabriken. Ein einzelner Arbeiter konnte auf einen Zug hunderte Hölzer anfertigen, anstatt sie mühsam von Hand zu spalten. Es dauerte allerdings keine 30 Jahre, bis die sich stets wandelnden chemischen Rezepturen und die immer effizienteren Maschinen den Absatz der handgehobelten Hölzer zurückgehen ließen. Gut, dass man mit diesen Stöcken nicht nur Feuer machen konnte! Holzdraht ließ sich auch verweben. Halbtextile, rollbare Matten wurden in alle Welt verkauft – zum Schutz vor der Sonne Südfrankreichs oder gar Kaliforniens.“
Zum Glück, so Oslmeier, gebe es noch immer Menschen, die Holzdrahtproduktion selbst gelernt beziehungsweise beobachtet haben. „Aus ihren Werkstätten konnten wir viele interessante Objekte bergen, die alle einen Platz in der Ausstellung gefunden haben. Aber noch viel wichtiger: Wir haben die Chance, nach Zusammenhängen zu fragen und Prozesse zu erproben, um das Handwerk besser zu verstehen und für unsere Besucher aufzubereiten.“
Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich zeigte sich sehr angetan von der Ausstellung und der alten Handwerkskunst: „Was sich hinter dem Titel ,Hölzl Steckerl Staberl‘ verbirgt, ist eine kleine Sensation für die Region.“ Sie zeige, wie wichtig Museumsarbeit gerade auch im ländlichen Raum ist. „Für die Ausstellung wurde viel Wissen gehoben, das fast schon in Vergessenheit geraten war. Ohne das Freilichtmuseum Finsterau, ohne unsere engagierte junge Mitarbeiterin Franziska Oslmeier, ohne das tolle Team hier vor Ort und die weiteren Informanten in der Region wäre das alles, was Sie heute hier sehen, womöglich in wenigen Jahren vergessen gewesen“, so Dr. Heinrich. „Der Erhalt des materiellen und immateriellen Erbes in den ländlichen Regionen Niederbayerns ist die Aufgabe unserer beiden Freilichtmuseen.“ Das sei hier mehr als gelungen.
Bildunterschrift: Für die tolle Ausstellung bedankte sich Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich (links) bei Ernst Herzig (2. v. l), Alfred Fruth (Mitte) und Margot Strohmeier (rechts), die maßgeblich am Erfolg der Ausstellung mitgewirkt haben. Ein besonderer Dank galt außerdem Kuratorin Franziska Oslmeier, deren Engagement die Sonderausstellung erst ermöglichte.
Bildquelle: Fotostudio Eder