Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich besichtigt stationäre Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung der Caritas
Schönberg. Das System hat seine Grenzen erreicht. Diese fachliche Feststellung stand am Ende eines Besuchs von Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich in der stationären Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung des Caritasverbandes Freyung-Grafenau in Schönberg. Dort werden in St. Valentin neun Mädchen und Buben im Alter von sechs bis 14 Jahren betreut, in St. Vito nur Mädchen im Jugendlichenalter.
Die Caritas-Vorstände Alexandra Aulinger-Lorenz und Josef Bauer sowie Fachgebietsleiter Wolfgang Gaßler und Gruppenleiterin Maria Petzi berichteten im Besprechungsraum von St. Valentin aus dem fordernden Arbeitsalltag mit den Kindern und den sich in der Praxis ergebenden Probleme bei den Zuständigkeiten. „Die Kids“, wie sie Wolfgang Gaßler nennt, kommen vorwiegend aus den Landkreisen Freyung-Grafenau, Regen, Deggendorf und Passau. Sie haben Defizite im sozial-emotionalen Bereich, haben Probleme mit Autoritäten, sind suchtanfällig oder selbstverletzend. Meist kommen sie, wenn das Jugendamt den Hilfebedarf aufgrund schulischer Defizite, sozialer Probleme oder familiärer Krisen feststellt. Im Durchschnitt bleiben die Kinder eineinhalb bis zwei Jahre in der Einrichtung – manchmal sei aber auch früh klar, dass sie wohl nicht mehr nach Hause zurückkehren können.
„Unser Ziel ist es, die Kinder zu stabilisieren und zu stärken, ihnen Normalität zu geben, damit sie möglichst früh wieder heim können“, so Gaßler, der aber auch betont, dass es dazu auch die Eltern brauche, die möglichst kooperativ sein sollten. „Wir respektieren die Beziehung und wir wollen die Eltern mit im Boot haben. Doch das bringt uns oft auch in ein Spannungsfeld.“
Psychiatrisches oder pädagogisches Problem: Wer ist zuständig?
Denn: In vielen Familien, die diese Hilfe brauchen, gebe es kaum Regeln. Die Folge von Erziehungsdefiziten seien steigende Auffälligkeiten bei den Kindern, die sich schwer tun, Autoritäten anzuerkennen. Es sind meist pädagogische Gründe und keine psychiatrischen. Genau hier ist auch der Knackpunkt im System: Denn in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, die vom Bezirk finanziert wird, dürfen nur Kinder behandelt werden, bei denen eine psychiatrische Störung vorliegt. „Ich weiß, dass das oft ein Problem ist. Man muss aber bedenken, dass es auch eine lange Warteliste bei den Kindern gibt, die dringend psychiatrische Hilfe brauchen“, so Heinrich. „Für uns ist die KJP die letzte Möglichkeit, wenn es wirklich um extreme Krisen geht“, so Gaßler. Meist muss er mit seinem Team in solchen Ausnahmesituationen aber alleine zurechtkommen. „Es gibt niemanden, den wir anrufen könnten.“
Für Olaf Heinrich sind diese Hintergründe auch deshalb interessant, da derzeit in den bayerischen Bezirken die Einführung von Kriseninterventionseinrichtungen diskutiert werden. „Das Problem ist nicht das Geld. Alle Landräte melden mir, dass sie das gerne finanzieren, weil es überall zunehmend Fälle von Kindern gibt, die nirgends mehr unterkommen. Die Schwierigkeit ist, einen Träger zu finden, denn man bekommt kaum Personal für diese Arbeit.“
Dies konnten die Caritas-Vertreter nur bestätigen, sei es doch schon für Einrichtungen wie Schönberg herausfordernd, neue Mitarbeiter zu gewinnen. Aulinger-Lorenz ist deshalb auch überzeugt, dass sich die Anforderungen ändern müssen. „Wir haben eine hervorragende pädagogische Hilfskraft, die aber keinen Nachtdienst machen darf.“ Für die neun zu betreuenden Kinder gibt es 5,25 Planstellen, die sich auf acht Köpfe verteilen. „Drei dürfen keinen Nachtdienst machen, einer ist krank und einer im Frei – da schreibt sich der Dienstplan dann von alleine“, machte Josef Bauer deutlich. Und seine Vorstandskollegin ergänzt: „Mit diesem Anforderungsprofil werden wir bei den Herausforderungen der nächsten Jahre nicht bestehen können.“
„Kinder brauchen Regeln und einen festen Rahmen“
Dabei werden aber Einrichtungen wie in Schönberg dringend gebraucht. Auf einen Platz kommen vier Anfragen. Da die Auffälligkeiten bei den Kindern zunehmen, plädiert Alexandra Aulinger-Lorenz für mehr therapeutische Plätze. Dass sich die Situation von alleine verbessert, scheint aussichtslos. Denn die Caritas-Vorständin sieht in den gesellschaftlichen Veränderungen insgesamt die Gründe für steigende Auffälligkeiten. „Kinder kommen nicht orientiert auf die Welt. Sie brauchen klare Regeln, einen festen Rahmen und müssen lernen, dass ihr Handeln Konsequenzen hat.“ Doch auch in der eigenen Fachrichtung steigt die Tendenz, dass man bei möglichst allem partizipativ mit Kindern arbeiten müsse. „Das ist alles gut und recht, aber es hat seine Grenzen. Mit einem Sechsjährigen kann ich nicht alles ausdiskutieren“, sagt Wolfgang Gaßler.
Doch bei allen Schwierigkeiten berichteten die Caritas-Vertreter auch von sehr schönen Momenten. „Wir fühlen uns sehr wohl in Schönberg, unsere Kids gehören dazu und die hervorragende Zusammenarbeit mit der Gemeinde trägt dazu maßgeblich bei“, so der Fachgebietsleiter. Dass sich an Heiligabend Bürgermeister, Pfarrer und Caritas-Vorstand in St. Valentin zum traditionellen Weihnachtsbrunch treffen, sagt einiges. „Immer wieder mal kommt ein Brief, in dem steht, wie sehr die Zeit ‚bei den Schönbergern‘ dem ein oder anderen geholfen hat“, schloss Gruppenleiterin Maria Petzi am Ende des Besuchs.
Im Bild: Caritas-Vorstand Josef Bauer (v.l.), Gruppenleiterin Maria Petzi, Bürgermeister Martin Pichler, Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich, Caritas-Vorständin Alexandra Aulinger-Lorenz sowie Fachgebietsleiter Wolfgang Gaßler vor der Kinder- und Jugendhilfeeinrichung St. Valentin in Schönberg.
Foto: Lang / Bezirk Niederbayern