Bezirkstagspräsident sammelt Infos für Schul- und Kindertagesstätten-Öffnungskonzept
Isolation von den Freunden und Klassenkameraden, keine Schule und kein geregelter Tagesablauf und dennoch großer Lern- und Erfolgsdruck im Homeschooling: Die Corona-Krise hinterlässt gewaltige Spuren bei vielen Kindern und Jugendlichen. Beim zweiten Lockdown sind die Folgen sogar noch gravierender und sind zum Teil noch gar nicht abzuschätzen, weil sie in der Gesellschaft noch nicht angekommen sind. Das hat Dr. Tanja Hochegger, Chefärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Bezirkskrankenhaus Landshut, bei einem Termin mit Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich am Bezirkskrankenhaus Passau betont.
In Passau wurde 2003 ein Standort mit Tagesklinik und Institutsambulanz für Kinder und Jugendliche gegründet. Laut Hochegger kommen derzeit gehäuft Notfälle in die Institutsambulanzen, die meist gleich stationärer Behandlung bedürfen: „Gerade auch die Suchterkrankungen und Essstörungen nehmen erheblich zu.“ Heinrich arbeitet an einer Lösung und hat sich daher in Passau informiert, worauf die Politik beim Erstellen von Öffnungskonzepten besonders achten muss.
Gemeinsam mit den Landräten der Landkreise Freyung-Grafenau, Passau, Regen, wie auch dem OB der Stadt Passau, hat der Bezirk Niederbayern bereits in den letzten Wochen ein detailliertes Konzept ausgearbeitet, wie Kindertagesstätten und Schulen auch bei höherer Inzidenz geöffnet werden können. Wissenschaftlicher Leiter des Pilotprojekts ist Prof. Dr. Matthias Keller, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Kinderklinik in Passau. Er stimmt sich sehr eng mit Prof. Dr. Michael Kabesch vom Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg ab.
Derzeit liegt der Plan nach der Regierungserklärung von Markus Söder am 7. April noch auf Eis, und doch soll an Öffnungsperspektiven der Zukunft mit Hochdruck gearbeitet werden, betonte der Bezirkstagspräsident bei dem Informationsbesuch: „Wir warten nicht auf Lösungen, sondern wir machen uns selber auf den Weg“, bekräftigte er. Wachsende Verzweiflung in den Familien stehe dem Grundbedürfnis von Pädagogen, Eltern und Kindern nach Sicherheit gegenüber. „Für weitere Monate alles zuzusperren kann keine akzeptable Lösung sein. Es müssen daher politische Vorschläge entwickelt werden, wie man den Kindern und Eltern gerecht wird und trotzdem höchstmögliche Sicherheit gewährleistet.“
Besonders interessierte es Heinrich, wie die bereits angelaufene Teststrategie in der Tagesklinik in Passau funktioniert. Hochegger hatte einige Vertreter des multiprofessionellen Teams geladen, ihre Erfahrungen zu schildern. Diese gaben die Rückmeldung, dass die Tests bislang völlig unproblematisch laufen. Man versorge die Eltern mit Informationen, und daher gebe es keinerlei Diskussionen über die Teststrategie – die Beobachtung sei sogar, dass die Eltern dankbar sind für ein Stück Sicherheit für ihren Nachwuchs. Je klarer man agiere, desto größer sei die Akzeptanz, waren sich die Passauer Mitarbeiter einig. Sie gaben Heinrich als Tipp mit auf den Weg, auch an den Schulen und Kindertagesstätten transparente Regeln einzuführen, die man den Eltern erklärt, denn wenn diese beruhigt seien und diese akzeptieren, dann übertrage sich das auch auf die Kinder. Zudem solle so wenig zusätzlicher schulischer Druck wie möglich auf die Kinder und Jugendlichen ausgeübt werden und größtmögliche Flexibilität müsse das Ziel sein.
Die Problemwelle wird erst noch auf die Region zurollen, sagte Dr. Tanja Hochegger, die sich ebenfalls klar für maßvolles Öffnen unter sicheren Bedingungen ausspricht. „Den Kindern und Jugendlichen fehlt sowohl der soziale Austausch als auch die Arbeit an der Regelakzeptanz und die Einordnung in ein Gruppengefüge.“ Alle jungen Menschen seien sehr diszipliniert gewesen im vergangenen Jahr: „Aber ich kann verstehen, dass ihnen jetzt die Luft ausgeht – es gibt seit mehr als einem Jahr kein altersentsprechendes Leben mehr.“
Für Dr. Olaf Heinrich zählt nicht nur das Argument, dass die Kinder und Jugendlichen, die gerade nicht zur Schule können, laut immer wieder zitierter Studien rund ein bis drei Prozent ihres Lebenseinkommens verlieren. Ihm stellt sich vielmehr die Fragen, ob diese nach der Corona-Krise noch gesund durchs Leben gehen können. Es gelte, auf lokaler Ebene voranzugehen und so vielleicht auch Schule zu machen für den ganzen Freistaat. „Wenn wir riskieren, dass wegen Quarantänemaßnahmen zehn Prozent des Unterrichts ausfällt, aber 90 Prozent möglich sind, dann wäre das für mich in Ordnung. Alles zuzulassen ist dagegen auf Dauer für alle Beteiligten untragbar.“
Heinrich hält es für unverzichtbar, schnellstmöglich den Kindern und Jugendlichen wieder zu ermöglichen, in ihre Einrichtungen zu gehen, dort Freunde zu treffen, eine Tagesstruktur zu erleben und auch zu lernen. „Dies wird, trotz immer mehr Impfungen, vor allem dann möglich sein, wenn ein sicherer Besuch von Schulen und Kindertagesstätten auch bei höherer Inzidenz, wissenschaftlich begleitet und evaluiert, möglich gemacht wird.“ Der Bezirkstagspräsident sprach sich wie Prof. Kabesch für die so genannten „Pool-Testungen“ aus, bei denen die Kinder durch „Spuck-Tests“ zweimal in der Woche getestet werden. Dadurch kann ihm zufolge sichergestellt werden, dass Infektionen sehr früh und schnell erkannt werden, bevor viele weitere Mitschüler angesteckt werden. Aber auch mit den herkömmlichen Schnelltests durch die Nase kommen fast alle Kinder gut zurecht, meldete das Passauer Team rück. Hier habe es in keiner Altersklasse großen Diskussionen gegeben.
Im Bild: Ein multiprofessionelles Team des Bezirkskrankenhauses Passau tauschte sich mit Bezirktstagspräsident Dr. Olaf Heinrich (3. von rechts) und Chefärztin Dr. Tanja Hochegger (6. v. rechts) zum Thema Folgen der Corona-Krise für Kinder und Jugendliche aus.